Praxisgerechte Lösung

Anwendbarkeitsnachweise im Brandschutz in der TGA

Brandschutzsachverständige haben keinen leichten Stand, gerade in Zeiten, wo sich Bauvorhaben wie der Berliner Flughafen BER immer wieder aufgrund von angeblichen oder tatsächlichen Brandschutzmängeln verzögern. Was sind die Ursachen dafür? Der Versuch einer Erklärung – und der praxisgerechten (Auf-)Lösung.

In den vergangenen Jahren hat sich die Arbeit auf den Baustellen drastisch verändert. Preisdruck, Qualitätsansprüche, Bauverzögerungen, Bedenkenanmeldungen, Behinderungen, problematische Inbetriebnahmen – all das sind Faktoren, die permanent auf die Baubeteiligten einwirken und den Bauprozess strapazieren. Ein Bauprozess, bei dem im Prinzip aber jeder einzelne Vorgang, jeder gesetzte Stein, jeder Meter Rohrleitung in einen rechtlichen Hintergrund eingebettet ist. Obwohl Bauen ein äußerst dynamischer und lebendiger Prozess ist, muss also eigentlich jede Handlung juristisch gut auf ihre Rechtmäßigkeit überlegt und bezüglich möglicher juristischer Folgen geprüft sein.

Ein wesentlicher Grund dafür ist die zunehmende technische, aber auch wirtschaftliche Komplexität der Bauprojekte. Entsprechende Bedeutung hat in Planung und Ausführung gesetzeskonformes Verhalten bekommen, um möglichen Einsprüchen oder Vorbehalten von Anfang an zu begegnen.

Dabei treffen auf den Baustellen eine Vielzahl unterschiedlichster Rechtsgebiete aufeinander: öffentliches Recht, Verwaltungsrecht, Vertragsrecht und Arbeitsrecht, die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) sowie letztlich auch noch das Strafrecht. Und über all dem gilt es in der Hektik des Baustellenalltags den Überblick zu behalten.

Wissen ist Macht

Ein entscheidender Aspekt, damit das gelingt, lässt sich dabei unter dem bekannten Satz „Wissen ist Macht“ zusammenfassen. Das Bauordnungsrecht als Teilbereich des öffentlichen Rechts unterliegt bspw. im Wesentlichen den deutschen Ländern. Die weiter ausführenden Regelungen dazu finden sich in den Landesbauordnungen sowie in ergänzenden Erlassungen und Verordnungen wieder. Das Bauordnungsrecht befasst sich mit den baulich-technischen Anforderungen an Bauvorhaben und regelt in erster Linie die Abwehr von Gefahren, die von der Errichtung, dem Bestand und der Nutzung baulicher Anlagen ausgehen. Dabei wird grundsätzlich zwischen Bauprodukten und Bauarten unterschieden:

Das Bauprodukt ist dabei ein einzelnes, im Rahmen des Bauvorhabens eingesetztes Produkt, z. B. eine Rohrleitung, ein Ventil oder auch ein Heizkreisverteiler. Solche Bauprodukte dürfen unter brandschutztechnischen Gesichtspunkten a priori auf den Baustellen eingesetzt werden, wenn sie z.B. über eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) verfügen.

Die Bauart ergibt sich aus mehreren solcher Bauprodukte, die auf der Baustelle zusammengefügt werden. Solche Bauarten dürfen unter brandschutztechnischen Gesichtspunkten nicht einfach ungeprüft auf den Baustellen verwendet werden.

Annäherung an Begrifflichkeiten

Um sich als interessierter Laie der Formulierung „die Brandausbreitung ist ausreichend lang nicht zu befürchten“ und dem Begriff „Vorkehrungen“ anzunähern, ist ein Blick in die eingeführten Technischen Baubestimmungen, die Muster-­Leitungsanlagen-Richtlinie (MLAR) hilfreich. Denn mit der Umschreibung „ausreichend lang nicht zu befürchten“ zielt der Gesetzgeber direkt auf Lösungsmöglichkeiten aus einer solchen eingeführten technischen Baubestimmung ab.

Schon die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) als übergeordnetes Regelwerk verweist im Teil A unter A 2.2.1.8 auf die MLAR. Die Anwendungen und Lösungen daraus beschreiben die notwendigen Maßnahmen, wie Leitungen durch raumabschließende Bauteile mit Anforderungen an Feuerwiderstandsfähigkeit zu führen sind, damit eine Brandausbreitung ausreichend lang nicht zu befürchten ist. Die Lösungen nach MLAR sind dabei herstellerunabhängig und neutral. Auch unterliegen sie nicht der Beschilderungs- oder Kennzeichnungspflicht. Da die MLAR jedoch zusätzlich Anforderungen an Art der Dämmstoffe, Abstände und den Ringspaltverschluss stellt, lassen sich darüber nur wenige Baustellensituationen vollständig abbilden und lösen.

Den Ausweg nutzen

Den Verantwortlichen steht es grundsätzlich frei, den Bereich der Technischen Baubestimmungen zu verlassen, wenn sie Nachweise der sicheren Anwendung der Brandschutzmaßnahme führen. Gegebenenfalls müssen sie dazu jedoch belegen, dass ihr Bauprodukt oder ihre Bauart sicher ver- bzw. angewendet werden kann. Hier greifen die bauaufsichtlichen Ver- bzw. Anwendbarkeitsnachweise, wie bspw. die allgemeine Bauartgenehmigung (aBG), die vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) erteilt werden. Unter dem oben genannten Begriff „Vorkehrungen“ sind somit Brandschutzlösungen mit einem Anwendbarkeitsnachweis zu verstehen.

In der Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen werden in Kapitel C 4 weiterhin Bauarten aufgeführt, die nur eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses (abP) nach § 16a Absatz 3 MBO bedürfen. Dies sind bspw. Bauarten für die Abschottung von Rohrleitungen, deren Funktion auf der Anordnung einer Rohrummantelung/Streckenisolierung beruht.

Vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG)

Die vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) wird benötigt, wenn nicht alle Details der bereits genannten Anwendungsnachweise umgesetzt werden können. Dann liegt eine Abweichung vor. So lange solche Abweichungen „nicht wesentlich“ sind, kann der Anwendungsnachweis zwar weitergeführt werden, ist aber vom Hersteller der Anwendung – bei Rohrleitungen bspw. dem Installateur – als „nicht wesentlich“ in Übereinstimmung mit dem Anwendbarkeitsnachweis zu bestätigen.

Ausführungen, die „wesentlich“ vom Anwendbarkeitsnachweis abweichen, dürfen hingegen so nicht ungeprüft errichtet werden. Die Bauordnungen sehen dafür jedoch die Möglichkeit der Erteilung einer „vorhabenbezogenen Bauartgenehmigung“ vor. Diese kann von den obersten Bauaufsichten bzw. abhängig vom Bundesland auch vom DIBt erteilt werden. Vom Prinzip her ist der Bauaufsicht bzw. dem DIBt dabei nachzuweisen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Schutzziele trotz Abweichung vom Anwendbarkeitsnachweis erreicht werden. Oft geschieht dies unter Einbeziehung von Kompensationen oder zusätzlichen Maßnahmen.

Übereinstimmungsbestätigung/-erklärung

Im nationalen Verfahren legt die MBO im §16a (5) fest, dass Bauarten einer Bestätigung ihrer Übereinstimmung mit den Technischen Baubestimmungen nach § 85a Abs. 2, den allgemeinen Bauartgenehmigungen, den allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnissen für Bauarten oder den vorhabenbezogenen Bauartgenehmigungen bedürfen.

CE und europäischer Nachweis

Auch Bauprodukte, die den Vorschriften anderer Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums entsprechen, dürfen verwendet werden – wenn das in Deutschland geforderte Schutzniveau für bauliche Anlagen damit gleichermaßen dauerhaft erreicht wird. Das regelt die MBO, § 16b Abs. 2, in Verbindung mit § 3, Satz 1 der MBO: „Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung nach der Bauproduktenverordnung dürfen verwendet werden, wenn die erklärten Leistungen den geltenden gesetzlichen Anforderungen der Landesbauordnungen oder der aufgrund der Landesbauordnung erlassenen Gesetze entsprechen (Vgl. § 16c Satz 1 MBO).“

Ein auf vielen Baustellen anzutreffendes Beispiel hierfür sind die Abschottungen von Lüftungsleitungen mit Brandschutzklappen. Im Bereich der Brandschutzklappen für Lüftung gibt es keine Möglichkeit mehr, nationale Nachweise zu verwenden, da diese europäisch harmonisiert sind. Der brandschutztechnische Nachweis ist dann die jeweilige Leistungserklärung. Dabei müssen die nationalen Schutzziele in jedem Falle eingehalten werden. Eine gute Orientierung gibt hierzu Anhang 14 der „Technische Regel Technische Gebäudeausrüstung – TR TGA“ der MVV TB.

Fazit

Die Anwendbarkeitsnachweise im Brandschutz in der Technischen Gebäudeausrüstung stellen nicht nur die TGA-Planer und -Ausführenden vor große Herausforderungen, sondern sie sind auch für die Brandschutzsachverständigen oft noch ein Buch mit sieben Siegeln. In den letzten Jahrzehnten hat es hier viele Veränderungen gegeben, bei gleichzeitiger Fokussierung auf Abschottungsmaßnahmen in der TGA.

Bedingt durch die aktuellen Anpassungen der Bauordnungen und Einbeziehung der Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen ist nun aber ein in sich schlüssiges und sehr gut beherrschbares Instrument entstanden, welches die Anforderungen von Bauprodukt und Bauwerksanforderung (Bauart) trennt. Im nationalen Nachweisverfahren von Abschottungsmaßnahmen herrschen klare Regeln, was die Verwendung, die Übereinstimmung und Dokumentation (Beschilderung) angeht. Auch Abweichungen sind im nationalen Nachweisverfahren möglich und klar geregelt. Das ist ein großer Vorteil gegenüber europäischen Brandschutzprodukten. Die Anwendbarkeitsnachweise sind klar strukturiert, so dass die Planung, Herstellung und Überwachung von Brandschutzmaßnahmen anhand der Nachweise gut möglich ist.

Checkliste für die Baustelle

Bei der Abnahme brandschutztechnischer Installationen ist alle Theorie aus Verwaltungsvorschriften und Bauordnungen sowie den zugehörigen Ausführungsbestimmungen grau. Was letztlich zählt, ist allein die Bewertung, ob für ein Bauprodukt eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung vorliegt oder eine Bauart nachgewiesenermaßen „bei ordnungsgemäßer Instandhaltung während einer dem Zweck entsprechenden angemessenen Zeitdauer die Anforderungen dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erfüllt und für ihren Anwendungszweck tauglich ist“. Dem Praktiker hilft dabei diese Checkliste:

– Liegen alle Anwendbarkeitsnachweise vor?

– Sind die Anwendbarkeitsnachweise (noch) und bis zum Tag der geplanten Inbetriebnahme/Abnahme gültig?

– Liegen die Übereinstimmungsbestätigungen/-erklärungen vor? Dabei ist zu beachten: Sind mehrere Gewerke an einer Abschottungsmaßnahme beteiligt (Installateur, Isolierer, Maurer), werden die Erklärungen von allen Beteiligten benötigt.

– Gibt es in den Anwendbarkeitsnachweisen Hinweise auf Abweichungen?

– Wenn es Abweichungen gibt, handelt es sich dann um wesentliche oder nicht wesentliche?

– Liegt bei wesentlichen Abweichungen die vorhabenbezogene Bauartgenehmigung vor?

– Liegt bei nicht wesentlichen Abweichungen eine vollständige, nachvollziehbare Erklärung und Bewertung vor? Wo wird wie genau abgewichen? Womit wird kompensiert?

– Müssen die Bauarten beschildert sein?

– Werden Leitungssysteme in besonderen Einbausituationen verbaut (z. B. Unterschreitung der Mindestabstände von 200/100 mm)?

– Liegen zu diesen Systemen in besonderen Einbausituationen alle Anwendbarkeitsnachweise vor und sind die verbauten Produkte auch darin zu finden?

– Werden Leitungen in Form einer Mischinstallation verbaut (z. B. Strangrohrleitung in Metall und Stockwerksleitungen an einer Stelle brennbar?

Erst wenn diese Fragen durchgängig mit „ja“ beantwortet sind und die entsprechenden Dokumente lückenlos vorliegen, sollte eine Baustellenbesichtigung durchgeführt werden.

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