Der neue Rechtsweg zu brandsicheren Bauwerken
Die vertrauten Kennzeichnungen und Zulassungen für die Verwendbarkeit von Bauprodukten werden sich wohl im Laufe des Jahres von Grund auf ändern – fast. Und nicht sofort. Aber eigentlich schon ab jetzt... Fakt ist: Die neue Musterbauordnung wird 2018 Zug um Zug in das Baurecht der Bundesländer überführt. In Sachsen-Anhalt, Sachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ist das bereits geschehen. Damit verlieren die Bauregellisten und Listen technischer Baubestimmungen ihre Gültigkeit. An ihre Stelle tritt die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB) der jeweiligen Länder. Das bringt auch gravierende Änderungen für den Nachweis zur Verwendbarkeit von Bauprodukten im baulichen Brandschutz. Einige Hintergründe zu den Neuerungen helfen, gerade in der Übergangsphase technisch und rechtlich sicher zu bauen. Besonders die Industrie ist gefordert, Bauherren, Fachplanern und Fachhandwerkern hier kompetent zur Seite zu stehen.
Warum wird das bisherige, gut funktionierende System von geregelten und ungeregelten Bauprodukten in Kombination mit den Listen technischer Baubestimmungen überhaupt abgeschafft? Die Antwort darauf liefert gleichzeitig das Verständnis für das Grundprinzip der Novellierung des Bauordnungsrechts: Hintergrund der Neuregelung ist, dass Deutschland an zahlreiche europäisch harmonisierte Bauprodukte, die eigentlich gemäß der EU-Bauproduktenverordnung (EU-BauPVO) problemlos verwendet werden dürften, zusätzliche Anforderungen gestellt hat. Diese über harmonisierte europäische Normen (hEN) hinausgehenden Anforderungen stellen aber Handelshemmnisse dar und sind nicht zulässig, entschied der Europäische Gerichtshof. Die Bauministerkonferenz (ARGEBAU) hat vor dem Hintergrund des anerkannten hohen Qualitätsniveaus der technischen Gebäudeausrüstung hierzulande jedoch eine ganz andere Sicht der Dinge: Die Anforderungen sind notwendig, um die Sicherheit von Bauwerken zu gewährleisten. Denn nach Meinung der deutschen Bauaufsichten fehlen in rund 80 der 500 bereits harmonisierten EU-Normen, die gleichzeitig Prüfgrundlagen für die CE-Kennzeichnung liefern, wichtige Sicherheitsanforderungen. Oft sind davon auch Brandschutzaspekte betroffen. Um diese „Sicherheitslücke“ zu schließen, verlangte das deutsche Baurecht bis dato von Bauprodukten mit CE-Zeichen darüber hinaus die Ü-Kennzeichnung. Damit hatten Baufachleute die Gewissheit, dass ein Bauprodukt sowohl mit der entsprechenden hEN-Norm als auch mit weitergehenden deutschen Sicherheitsanforderungen übereinstimmt, wie sie zum Beispiel in DIN-Normen oder einem Verwendbarkeitsnachweis definiert sind. Zur Erfüllung des EU-Rechts ist diese Doppelkennzeichnung jetzt aber abgeschafft. Die Verweise in der Musterbauordnung (MBO), die Übereinstimmungen mit den Bauregellisten fordern, mussten folglich entfallen. Stattdessen sind zur Wahrung des Sicherheitsniveaus der Bauwerke in der MBO Bezugnahmen auf die Muster-Verwaltungsvorschrift Technischen Baubestimmungen (MVV TB) eingeführt worden.
Das Prinzip der neuen MBO und MVV TB
Die neue MBO trennt strikt nach Anforderungen für Bauprodukte und Bauarten. Eine Bauart wird in § 2 Abs. 11 der MBO definiert als „das Zusammenfügen von Bauprodukten zu baulichen Anlagen oder Teilen von baulichen Anlagen“. Sicherheitsbestimmung für Bauarten und für die daraus entstehenden Bauwerke zu erlassen, gehört zu den nationalen Hoheitsrechten. Deshalb hat die neue MBO in Verbindung mit der MVV TB im Wesentlichen zum Ziel, Sicherheitsanforderungen von Bauprodukten auf die Bauarten bzw. Gebäude zu übertragen. Die MVV TB ist dazu in vier Kapitel unterteilt. Im ersten Teil A werden Grundanforderungen definiert, die an Bauwerke gestellt werden. Sie betreffen:
1. die mechanische Festigkeit und Standsicherheit,
2. den Brandschutz,
3. die Hygiene, Gesundheit und den Umweltschutz,
4. die Sicherheit und Barrierefreiheit bei der Nutzung,
5. den Schallschutz und
6. den Wärmeschutz.
Der zweite Teil B enthält technische Baubestimmungen, die für Bauteile und Sonderkonstruktionen zusätzlich zu beachten sind. Im dritten Teil C sind technische Baubestimmungen für Bauprodukte, die nicht die CE-Kennzeichnung tragen, sowie für Bauarten aufgeführt. Der vierte Teil – Teil D – listet Bauprodukte auf, die keinen Verwendbarkeitsnachweis benötigen. Den Abschluss bildet ein Anhang, der ergänzende bauaufsichtliche Anforderungen enthält. Damit fasst die MVV TB nun die bisherigen Bauregellisten und die Liste der technischen Baubestimmungen zusammen (siehe Tabelle 1). So entfallen zwar sämtliche nationalen Zusatzanforderungen an harmonisierte Bauprodukte, die Sicherheitsanforderungen bleiben jedoch de facto erhalten. Sie werden nun aber an das Bauwerk selbst gestellt. Bauherren, Planende und Bauausführende haben also die Verantwortung, die Verwendbarkeit von Bauprodukten als Teil eines Bauwerks umso sorgfältiger zu prüfen. Insbesondere, weil sich zusätzlich auch das System und die Begrifflichkeiten der Zulassungen ändert.
Das neue System von Zulassungen
Ein typisches Beispiel für die Klärung der Anwendbarkeit von Bauprodukten sind Leitungsdurchführungen durch Wände und Decken, die als Brandschutzabschnitte dienen. Hier werden unterschiedliche Bauprodukte wie Rohre, Kabel Dämmungen und Abschottungen zu einem „Bauwerk“ zusammengebracht. Da jede Durchführung ein Unikat ist, können auch keine allgemeinen Prüfnormen definiert werden. Die Verwendbarkeit der Kombination verschiedener Bauprodukte musste bisher durch allgemein bauaufsichtliche Zulassungen oder Prüfzeugnisse (abZ / abP) nachgewiesen werden. Dieses Prinzip gilt auch weiterhin, selbst wenn die einzelnen Bauprodukte harmonisiert sind, also ihre Verwendbarkeit über das CE-Kennzeichen außerhalb einer Bauart erlaubt ist. Allerdings ändern sich hier Vorgehensweisen und Begrifflichkeiten. Zulassungen für Rohrabschottungen behalten Ihre Gültigkeit bis zum Ablaufdatum des jeweiligen Bescheids. Für neue Anträge unterscheidet das DIBt nun drei verschiedene Bescheid-Typen:
➤ Für Anträge, die nur bauproduktbezogene Aspekte enthalten, wird wie bisher eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) für das Bauprodukt erteilt. Das kann bspw. notwendig sein, wenn ein Bauprodukt noch nicht harmonisiert ist, also noch keine hEN-Norm verabschiedet wurde. Ein Beispiel hierfür ist der Viega „Brandschutz-Kitt“.
➤ Enthält ein Antrag sowohl bauprodukt- als auch bauartbezogene Aspekte, erteilt das DIBt anstelle der bisherigen abZ, die gleichermaßen für Bauprodukt und Bauart galt, zukünftig eine abZ für das Bauprodukt, das zugleich eine Bauartgenehmigung umfasst. Ziffer 8 der Allgemeinen Bestimmungen weist auf diese Doppelfunktion des Bescheids hin.
➤ Bei Anträgen, die nur bauartbezogene Aspekte enthalten, wird die bisherige (abZ) durch eine allgemeine Bauartgenehmigung (aBG) ersetzt. Ein Beispiel hierfür die Brandabschottung „Viega Mischinstallation Versorgung“.
➤ Die Zustimmung im Einzelfall (ZiE) für Bauarten wird nun vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) genannt.
ZiE und allgemeine bauaufsichtliche Prüfzeugnisse (abP) werden unter bestimmten Umständen nur noch für nicht harmonisierte Bauprodukte gemäß MVV TB Teil C erforderlich (siehe Tabelle 2).
Fazit
Die Sicherheitsanforderungen an Bauwerke bleiben durch die Novellierung des Bauordnungsrechts im Wesentlichen unverändert. Um dem EU-Recht zu entsprechen, werden die Sicherheitsanforderungen in erster Linie nicht mehr an die Bauprodukte gestellt, sondern an die Bauarten respektive Bauwerke. Die neue Musterbauordnung und die Muster-Verwaltungsvorschrift bilden dafür den Rechtsrahmen. Die Übergangsphase wird bei allen Bauschaffenden zu Unsicherheiten führen. Denn die Umsetzung in Landesrecht verläuft in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Den Stand der Novellierung des Bauordnungsrechtes veröffentlicht das DIBt stets aktuell auf seiner Internetseite. Viega hat seine Anwendungstechnik „Brandschutz / Schallschutz“ auf die Grundanforderungen hin erweitert, die die MVV TB an die TGA und SHK-Technik in Bauwerken stellt. Unter anderem sind dort auch die Verwendbarkeit und Nachweise für die Abschottung von Viega Rohrsystemen im Nullabstand zu den gängigsten Abwasserleitungen, Lüftungskanälen und Elektroabschottungen dokumentiert. Die Prüfzeugnisse eröffnen außerdem viele praxisgerechte Vereinfachungen für die Erstellung dieser Bauarten. Die rund 400 Seiten starke Anwendungstechnik steht zum kostenlosen Download bereit unter viega.de/brandschutz.