Bauordnungsrechtliche Regelungen und Realisierungsmöglichkeiten

Entrauchung von Gebäuden im Brandfall

Eine effektive Ableitung von Rauch und Wärme ist ein wichtiger Bestandteil des schutzzielorientierten, vorbeugenden Brandschutzes. Die bauordnungsrechtlichen Regelungen der Bundesländer zum Brandschutz haben in erster Linie das Wohl von Leib und Leben der Personen im Blick, die sich in den jeweiligen Gebäuden aufhalten.

Die in Abhängigkeit der Gebäudeklasse unterschiedlichen Fluchtwegekonzepte der Bauordnungen sehen vor, in jedem Fall einen sicheren Fluchtweg ins Freie zu gewährleisten. Dieser Weg zur Selbstrettung darf maximal 35 m betragen. Bei mehrgeschossigen Gebäuden ist diese Maximaldistanz bis zum nächsten sicheren Treppenraum einzuhalten; von dort führt dann ein Weg ins Freie. Auch wenn die Bundesländer Unterschiede aufweisen, entspricht das den Vorgaben in Deutschland.

Leider werden nicht alle Gebäude gemäß den baulichen Brandschutzvorschriften bezüglich Wänden und Decken, Abständen und verwendeten Baustoffen, gebaut. Die Praxis zeigt, dass es auch bei 35 m Fluchtweglänge oder den vermeintlich sicheren Treppenhäusern immer wieder Situationen gibt, in denen Flüchtenden der sichere Weg ins Freie verwehrt bleibt. Bei einem tragischen Brand­geschehen in einem Münchner Studentenwohnheim wurde das kürzlich wieder deutlich. Ein komplett verrauchtes Treppenhaus (durch Kellerbrand) ließ Bewohner in den Tod rennen statt ins rettende Freie.

Rauch – der Feind des Lebens

Neben der Problematik der Alarmierung im Brandfall (Rauchmelder leisten hier einen großen Anteil an einer frühen und sicheren Alarmierung) ist es vor allem der Rauch, der die aktive Eigenrettung, aber auch den aktiven Löschangriff massiv beeinträchtigen kann.

Folgerichtig hat der Gesetzgeber Regeln zur Verhinderung von Rauchausbreitung in und der Rauchableitung von Brandgasen aus Gebäuden geschaffen. In den Bauordnungen gibt es z.B. eigens Regeln für die Rauchableitung aus Treppenräumen. Diese fordern eine Öffnung an oberster Stelle eines Treppenraumes zur Ableitung von Brandrauch. Offiziell dient diese Öffnung zur Entrauchung nach Evakuierung und zur Unterstützung des wirksamen Löschangriffs. Die Auslösung kann manuell oder automatisch erfolgen. Eine automatisch ausgelöste RWA im Treppenraum unterstützt im Ernstfall auch die aktive Selbstrettung oder macht diese, im Falle einer Verrauchung des Treppenraumes, überhaupt erst möglich.

Rauchableitung vs. RWA-Anlage

Auch in den Sonderverordnungen zu Versammlungsstätten, Verkaufsstätten oder Schulen u. ä. finden sich weitere Regelungen zu Rauchableitung. Dabei geht es darum, dass vorhandener Rauch in bestimmten Gebäudeteilen schnell und sicher ins Freie abziehen oder mit Hilfe von technischen Geräten, die atmosphärische Überdrücke erzeugen, ins Freie abgeführt werden kann. Diese Art, den Brandrauch aus einem Gebäude abzuführen, wird seit vielen Jahren als „Rauchableitung“ bezeichnet und vom Gesetzgeber in der Regel auf ein Grundflächenmaß von 1000 m² (Versammlungsstätte) bis 1600 m² (Industriebau) beschränkt. „Rauchableitung“ muss grundsätzlich von der „Rauchabzugsanlage“ unterschieden werden. Wird von den Vorgaben der LBO abgewichen, dann müssen Kompensationsmaßnahmen umgesetzt werden. Rauchabzugsanlagen kommen bspw. als Kompensation bei Rettungswegabweichungen und Gebäuden mit Geschoss-Grundflächen > 1.600 m² zum Einsatz. Die Erfahrung und die geometrischen Gegebenheiten bei Gebäudegrundflächen ab 1600 m² zeigen, dass es bei größeren Grundflächen auch mit dem geforderten Fluchtweg von maximal 35 m knapp werden kann. Warum wird diese Unterscheidung gemacht, und welche Folgen hat dies bei der Planung und Ausführung einer Anlage? Zunächst ist es wichtig die Funktionsweisen der beiden Anlagen zu verstehen.

So funktioniert Rauchableitung

Rauchableitung funktioniert über Gebäudeöffnungen, die im oberen Drittel der Wände oder im Deckenbereich einer zu schützenden Nutzungseinheit angebracht und meist ohnehin aus Gründen der Lüftung und Beleuchtung schon vorhanden sind. Also Fassaden- und Dachfenster, Lichtkuppeln etc. Bei den Öffnungen zur Rauchableitung ist eine rechnerische Ermittlung von aerodynamisch wirksamen Querschnitten nicht notwendig. Hier bestimmt sich der geforderte freie Querschnitt, der für die Entrauchung zur Verfügung stehen muss, aus der Grundfläche des zu entrauchenden Abschnitts. Wenn die Öffnungen im Dach angebracht sind, fordert z.B. die Versammlungsstätten-Verordnung 1 % und für Öffnungen in der Wand 2 % der Grundfläche. Durch diese Öffnungen wird entstehender Brandrauch ins Freie abgeführt. Dabei sind entsprechende Zuluftöffnungen ebenso wichtig wie ein sicheres und schnelles Öffnen im Brandfall.

RWA-Anlage für raucharme Schicht

Rauchabzugsanlagen dienen dagegen gem. DIN 18232 dazu, eine raucharme Schicht in einer eingeschossigen Gebäudeebene sicherzustellen. Entstehende Rauchgasmengen sollen durch NRWG (Natürliche Rauch- und Wärmeabzugsgeräte) gezielt ins Freie abgeführt werden, und zwar in einem Maß, das vorher aufgrund von festzulegenden Parametern (Höhe des Brandraums, Brandentwicklungsdauer, Brandausbreitungsgeschwindigkeit etc.) indirekt ermittelt wird. Einfach ausgedrückt geht die Norm davon aus, dass bei einem Brand so viel Brandrauch entsteht, wie durch die aerodynamisch wirksamen NRWG ins Freie abgeführt werden kann und somit eine raucharme Schicht für aktive und passive Rettung, sowie einen wirksamen Löschangriff entsteht. Ein strömungsmechanisches Gleichge­wicht wird angestrebt, das wie bei der Rauchableitung eine entsprechende Zuluft erfordert. Der thermische Auftrieb, der durch den Brand entsteht, wird genutzt und ist eine dynamische Energiequelle für die natürliche Entrauchung. Je intensiver das Brand­szenario desto größer der thermische Auftrieb, und umso höher das Rauchgasvolumen, das transportiert werden kann.

Welche Produkte sollen eingesetzt werden?

Der Gesetzgeber gibt klar vor, in welchen Gebäuden welche Entrauchung zum Einsatz kommen soll. Nun gilt es die richtigen Produkte auszuwählen.

Auch wenn es für die Rauchableitung bis dato meist keine gesetzlichen Mindestanforderungen an die zu verwendenden Produkte gibt, so hat sich bei den deutschen Herstellern ein sehr hohes Qualitätsniveau etabliert. In den nächsten Jahren wird die MVV-TB hier weitere Anforderungen definieren, z.B. über die DIN 18232-9. Meist werden Antriebe mit einer B300 Prüfung (Wärmebeständigkeit bis 300 °C bis 30 Minuten nach DIN EN 12101-2) und einer nachgewiesenen Dauerfestigkeit von min 10.000 Zyklen eingesetzt. Auch für die Steuerungstechnik gibt es keinen Zweifel daran, dass eine Notstromversorgung über 72 Stunden und eine nachgewiesene Mindestdauerfestigkeit ein absolutes Muss für eine RWA-Anlage ist.

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu den Rauchabzugsanlagen ist die Tatsache, dass bestehende Öffnungen wie Fenster und Lichtkuppel oder Dachfenster als Entrauchung eingesetzt werden können. Hier bedarf es keinerlei Nachweise. Die Gebäudeöffnungen sind oft ohnehin geplant und eine automatisierte Be- und Entlüftung liefert einen nachhaltigen und effektiven Zusatznutzen. Für Architekten und Planer gilt es, die Qualität der Antriebe zu beachten. Einfache Antriebe, teilweise aus Kunststoff oder fehlende Notstromversorgungen, können eine sichere Entrauchung und eine dauerhaft funktionierende Lüftung keinesfalls gewährleisten.

Bei Rauchabzugsanlagen müssen im Vorfeld die richtigen aerodynamischen Entrauchungsquerschnitte ermittelt werden. Das geschieht meist nach der DIN 18212-2 oder anderen Ingenieurverfahren bzw. computergestützten Modellen. Für den ermittelten Querschnitt sind dann entsprechend viele NRWG in die Gebäudehülle einzubauen. Es dürfen ausschließlich nach DIN EN 12101-2 geprüfte Produkte verwendet werden. Die Abstände zueinander und Größe der Produkte folgen weiteren Einbauregeln. Solche Geräte haben bei zugelassenen Stellen in Versuchen nachgewiesen, wie hoch der Strömungsdurchfluss in einem Brandfall tatsächlich ist. Gepaart mit einer entsprechend dimensionierten Zuluftversorgung entsteht der oben schon beschriebene Heißgasstrom (Plume genannt), der in der Geschossfläche eine rauchgasarme Schicht ausbildet.

Für beide Anlagen gilt: Eine automatisierte Auslösung mit Rauch- bzw. Temperaturerkennungsmerkmalen sind fundamental für eine wirksame und schnelle Entrauchung. Das sind i.d.R. thermische Auslöse­elemente oder Rauchmelder nach DIN EN 54. Ebenso muss eine vorschriftenkonforme Energieversorgung mit geprüften Bauprodukten sichergestellt sein. Unabhängig davon ob pneumatisch oder elektrisch ausgeführt, muss ein CE-gekennzeichnetes Produkt eingesetzt werden, dass nach DIN EN 12101-10 zugelassen ist. Für den Steuerungsteil hat sich europaweit die ISO 21927-9 durchgesetzt, die nach derzeitiger Planung (Stand 6/2021) in den nächsten Ausgaben der MVV-TB als Technische Baubestimmung fest verankert sein wird.

Fazit

Zwischen Rauchableitung und Rauchabzugsanlagen wird oft nicht richtig differenziert, was zu Diskussionen bei der Auswahl der Produkte führt. Es gibt Unterschiede bei der Gestaltungsmöglichkeit von Gebäudeöffnungen und  den Investitionskosten. Naheliegend ist, bestehende Öffnungen wie Fenster oder Lichtkuppeln auch zur Rauchableitung zu verwenden, was der Gesetzgeber eindeutig zulässt.

Ab einer gewissen Größenordnung müssen jedoch geprüfte NRWG zum Einsatz kommen. Hersteller von anlagentechnischen Brandschutzeinrichtungen bieten zahlreiche Lösungen an. Viele Fensterprofile und auch Sonderausführungen, wie Lamellenfester sind geprüft. In Dächern von Industriehallen kommen oft Lichtbänder mit integrierten NRWGs zum Einsatz. Dass insbesondere seit der Pandemie das Thema natürliche Be- und Entlüftung als energiesparende Zusatzleistung immer wichtiger wird, ist ein weiterer Grund, sich von renommierten Spezialisten beraten zu lassen.

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