Brandschutzsanierung in denkmalgeschützten Gebäuden

Dynamische Fluchtweglenkung im Audimax Braunschweig

In denkmalgeschützten Gebäuden sind intelligente Lösungen notwendig, um den Anforderungen von Brandschutz, Denkmalschutz und Architekten gleichermaßen gerecht zu werden. Im sanierten Audimax der TU Braunschweig sorgt ein neues Sicherheitsbeleuchtungssystem mit integrierter dynamischer Fluchtweglenkung für Sicherheit und Wirtschaftlichkeit unter Beibehaltung der denkmalgeschützten Optik mit moderner Technik.

Das Auditorium Maximum (Audimax) ist auch für die TU Braunschweig ein zentraler und identitätsstiftender Ort. Erbaut im Jahr 1961 vom Architekten und Hochschullehrer Professor Friedrich Wilhelm Kraemer zählt es zu den Leitbauten der Universitätsarchitektur nach 1945. Mit Forumsgebäude und Universitätsbibliothek bildet es das Forumsensemble, das von Krämer ganz im Stil der Architekturlehre „Braunschweiger Schule“ geplant worden ist. Im Gegensatz zum scheibenförmigen Forumsbau und zur zylindrischen Bibliothek wurde das Audimax als Kubus konzipiert. Es beherbergt im Erd- und Obergeschoss das eigentliche Audimax mit 800 Sitzplätzen und in den beiden Untergeschossen einen großen Physik-Hörsaal. Das ebenerdige Foyer dient gleichzeitig als Zugang und Aufenthaltsfläche. Das Gebäude zeichnet sich durch große und markante Glasfassaden an der Nord- bzw. Südseite aus.

Brandschutz versus Denkmalschutz

Nach knapp 60 Jahren Nutzungsdauer entsprach das denkmalgeschützte Audimax nicht mehr den aktuellen Anforderungen an Funktionalität, Schall- und Wärmeschutz sowie an die Sicherheit. Eine umfangreiche Gebäudesanierung war notwendig geworden. Bei der Sanierung des Audimax sollte die historische Bausubstanz unter Wahrung des architektonischen Konzeptes möglichst vollständig erhalten und gleichzeitig die Funktionalität und die Sicherheitsanforderungen eines modernen Hörsaalgebäudes berücksichtigt werden. Diese Aufgabe war nicht mit Standardrezepten, sondern nur durch intelligente Lösungen lösbar.

Herausforderung Fluchtwege

Eine besondere Brandschutzherausforderung bestand in der Absicherung der Fluchtwege. Immerhin müssen bei vollbesetzten Hörsälen im Brandfall mehr als 1.000 Menschen in möglichst kurzer Zeit ins Freie und damit in Sicherheit geleitet werden. Die baurechtlich vorgeschriebenen ersten und zweiten Rettungswege führen im Audimax über das Foyer und damit nicht direkt ins Freie, sowie über die begehbare Dachterrasse in die Nachbargebäude. Die beiden Rettungswege aus dem Physik-Hörsaal führen über das Foyer sowie über einen Flur und ein Treppenhaus nach Westen über eine Rampe ins Freie. Die baurechtlich für diesen Fall geforderte automatische Löschanlage im Foyer ist im Audimax nicht gegeben und auch nicht umsetzbar. Doch was passiert, wenn der Weg durch das Foyer bspw. durch ein Feuer versperrt ist? Ohne besondere Maßnahmen besteht die Gefahr, dass Flüchtende direkt in dieses Feuer geleitet werden oder zeitaufwendig einen alternativen Fluchtweg suchen müssen.

Aus diesen Gründen entschieden sich die Auftraggeber für eine dynamische Fluchtweglenkung in Kombination mit einer flächendeckenden Brandmeldeanlage (BMA) und einer Sprachalarmierungsanlage. Die als Alternative in der Baugenehmigung genannte Abtrennung der Fluchtwege im Foyer durch eine brandsichere F30-Verglasung mit selbstschließenden RS-Türen wäre mit hohen Kosten verbunden gewesen und hätte zudem den offenen Charakter des Foyers empfindlich gestört.

Dynamische Fluchtweglenkung

Die dynamische Fluchtweglenkung im Audimax basiert auf richtungsveränderlichen Rettungszeichen, die an die BMA gekoppelt sind. Sobald ein Melder eines Rauch- oder Brandabschnitts auslöst, wird der betroffene Bereich durch das dynamische Fluchtweglenkungssystem optisch gesperrt und von ihm weg- bzw. um ihn herumgeleitet. Aus dem Gefahrenbereich selbst wird auf kürzestem Wege heraus geleitet. Im Audimax sind zwei Szenarien zu unterscheiden:

Das Foyer ist begehbar

Beide Hörsäle werden über das Foyer entfluchtet. Die Rettungswegkennzeichen zeigen in allen Bereichen „frei“ an, d. h. die Flüchtenden werden je nach Standort entweder über das Foyer oder über Treppenhaus und Rampe ins Freie geleitet. Gleichzeitig wird ein Standard-Sprachalarm aktiviert, der zum Verlassen des Gebäudes auf kürzestem Weg auffordert.

Das Foyer ist blockiert

Die Rettungswegkennzeichen aus beiden Hörsälen in Richtung Foyer werden als „blockiert“ (z. B. rotes X, blinkend, Blinkfunktion gemäß DIN VDE V 0108-200 [1]) angezeigt. Die alternativen Rettungswege über die Dachterrasse bzw. die Rampe werden als „frei“ (z. B. weißer Pfeil auf grünem Grund, blinkend, Blinkfunktion gemäß DIN VDE V 0108-200) angezeigt. Im Hörsaal Audimax wird ein Sprachalarm aktiviert, der zum Verlassen über die Dachterrasse auffordert und darauf hinweist, dass das Foyer nicht als Fluchtweg zur Verfügung steht. Die Sprachalarmierung im Physik-Hörsaal weist auf den Fluchtweg über Treppenhaus und Rampe hin. Im Foyer selbst wird der Standard-Sprachalarm ausgelöst.

In beiden Fällen weist die dynamische Fluchtweglenkung den in der jeweiligen Gefahrenlage zu benutzenden Fluchtweg aus. Die Flüchtenden gelangen so auch bei blockiertem Foyer ohne Zeitverzögerung rasch ins Freie. Die Rettungszeichenleuchten sind nach DIN EN 1838 [2] an jeder im Notfall zu benutzenden Ausgangstür, bei jeder Richtungsänderung und jeder Kreuzung der Gänge bzw. Flure positioniert. Zur dynamischen Fluchtwegkennzeichnung wird eine TFT-Leuchte eingesetzt. Die Aktivierung erfolgt über lediglich einen einzigen potenzialfreien Kontakt der BMA – eine ganz einfache Ansteuerung mit großem Sicherheitsgewinn. Zur sicheren Differenzierung ist im Foyer eine Zwei-Melder-Abhängigkeit realisiert, d. h. erst wenn zwei Melder Rauch detektieren, wird die alternative Rettungswegführung ausgelöst.

Herausforderung Sicherheitsbeleuchtung

Die Sicherheitsbeleuchtung im Audimax musste aufgrund ihres hohen Alters grundlegend modernisiert werden. Da Sicherheitsleuchten im Regelfall deutlich sichtbar angebracht sind, waren dabei besondere Lösungen zu finden: einerseits sollte die bestehende Optik erhalten werden, andererseits müssen die aktuellen Vorschriften erfüllt werden. Im Audimax wurden mehrere Maßnahmen umgesetzt:

Die Sicherheitsbeleuchtungszentrale wurde ausgetauscht. Zum Einsatz kommt jetzt ein Zentralbatteriesystem, das ein richtungsvariables Sicherheitsbeleuchtungssystem mit dynamischer Fluchtweglenkung in Endstromkreisen mit lediglich drei Adern erlaubt. Damit konnte auch für die Ansteuerung und die Stromversorgung der dynamischen Rettungszeichenleuchten die Bestandsverkabelung ohne Einschränkungen weiter genutzt werden.

Im Physik-Hörsaal wurde die Bestandsbeleuchtung erhalten. Da ein Eingriff in die Allgemeinbeleuchtung vermieden werden sollte, kamen separate Sicherheitsleuchten mit Einzelüberwachung zum Einsatz. Diese wurden verdeckt montiert, sodass die flächendeckende Sicherheitsbeleuchtung mit einer Beleuchtungsstärke von mindestens 1,25 lx (nach DIN EN 1838 [2], inkl. der Alterungsreserve der Leuchtmittel) über indirektes Licht realisiert wurde (nach DIN EN 1838, die erste Reflektion darf berücksichtigt werden). Für die Ausleuchtung der Treppen wurden die Stuhlreihenleuchten im Bestand weiter genutzt und lediglich mit einem Überwachungsbaustein in einem verdeckt installierten und farblich angepassten Abzweigkasten ausgerüstet.

Die Bestandsleuchten im Foyer konnten aus Gründen des Denkmalschutzes nicht durch moderne Leuchten ersetzt werden. Deshalb wurden sie unter Verwendung moderner LED-Technik nachgebaut. Etwa ein Drittel der Leuchten wurde für eine flächendeckende Sicherheitsbeleuchtung von mindestens 1,25 lx [2] mit einem Überwachungsbaustein ausgerüstet und in die Sicherheitsstromversorgung mit einbezogen.

Für den Audimax Hörsaal wurden die Bestandsleuchten in Langfeldoptik und mit alten 58W T8 Leuchtstoffröhren unter Verwendung moderner LED-Technik und in Originalmaßen nachgebaut. Etwa ein Drittel der Leuchten wurde für eine flächendeckende Sicherheitsbeleuchtung von mindestens 1,25 lx [2] mit einem DALI-fähigen Überwachungsbaustein ausgerüstet. Bei einem Spannungsausfall übernimmt dieser die Lichtsteuerung der angeschlossenen Leuchte und schaltet auf maximalen Lichtstrom. Durch den Einsatz der Retrofits wurde der Energieverbrauch um ca. zwei Drittel gesenkt. Zur Treppenbeleuchtung wurden die Bestandsstufenleuchten mit einer Überwachungselektronik für die Sicherheitsbeleuchtung ertüchtigt. Die Leuchten mit einer Schutzkleinspannung von 24 V werden über die Zentralbatterieanlage versorgt und überwacht. Es konnte die zweiadrige Bestandsleitung verwendet werden, da für eine Schutzkleinspannung kein Schutzleiter benötigt wird. Ein weiterer Vorteil der Schutzkleinspannung ist, dass bei Beschädigung einer Leuchte und der Möglichkeit dann stromführende Teile zu berühren, keine Gefahr für Leib und Leben besteht.
 

Fazit

Brandschutzsanierungen im denkmalgeschützten Bestand erfordern intelligente und flexible Lösungen, um einerseits die Bausubstanz und deren Optik möglichst vollständig zu erhalten und andererseits die Wirtschaftlichkeit des Projektes sicherzustellen. Moderne Sicherheitsbeleuchtungssysteme ermöglichen eine Realisierung nahezu aller möglichen Varianten. Sie erlauben in vielen Fällen die Weiternutzung der Bestandsverkabelung zur Energieversorgung und Ansteuerung neuer Sicherheitsleuchten sowie Rettungswegkennzeichen und sogar die kostengünstige Integration einer dynamischen Fluchtweglenkung ohne zusätzliche Busleitungen über einfache Ansteuerung durch die Brandmeldeanlage mittels potenzialfreien Kontaktes.

Literatur

[1] DIN VDE V 0108-200 VDE V 0108-200:2018-12 Sicher
heitsbeleuchtungsanlagen Teil 200: Elektrisch betriebene optische Sicherheitsleitsysteme.
[2] DIN EN 1838:2019-1

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