Sicherheitstrppenräume

Statische Rettungswegbetrachtung

Das Prinzip der zwei unabhängigen Rettungswege ist seit 1969, damals jedoch nur für Aufenthaltsräume in Dachgeschossen und seit 1981 für alle Aufenthaltsräume, in der Musterbauordnung (MBO) verankert.

Im § 33 der MBO ist festgelegt, dass für Nutzungseinheiten, die nicht zu ebener Erde liegen, der erste Rettungsweg über eine notwendige Treppe führen muss. Der zweite Rettungsweg kann eine weitere notwendige Treppe oder eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein. Ein zweiter Rettungsweg ist nicht erforderlich, wenn die Rettung über einen sicher erreichbaren Treppenraum möglich ist, in den Feuer und Rauch nicht eindringen können (Sicherheitstreppenraum). Der Sicherheitstreppenraum wird in der MBO zwar definiert aber nicht weiter beschrieben. Wie ein Sicherheitstreppenraum hergestellt werden muss, ist in der Muster-Hochhaus-Richtlinie (MHHR) beschrieben. Seit einiger Zeit wird diskutiert, ob Erleichterungen für Sicherheitstreppenräume im Regelbau möglich sind. Betrachtet man die Erläuterungen zur MHHR, die da lautet:

„Auf Grund ihrer gebäudespezifischen Eigenschaften werfen Hochhäuser jedoch allgemeine Sicherheitsprobleme auf, die sich von denen anderer Gebäudearten unterscheiden. Hochhäuser sind gekennzeichnet durch

➤ eine große Zahl von Geschossen auf relativ kleiner Grundfläche,

➤ eine große Zahl von Personen im Gebäude,

➤ die vertikale Haupterschließung.

Daraus ergeben sich spezifische Anforderungen an das Rettungswegsystem, das zum einen die Selbstrettung von Personen aus dem Gebäude und zum anderen den Angriff der Feuerwehr sicherstellen muss.“

Es kann durchaus gefolgert werden, dass sich Anforderungen an Sicherheitstreppenräume im Regelbau von denen im Hochhaus unterscheiden. Zur Entscheidungsfindung hilft auch ein Blick über die Landesgrenzen hinaus. In der Schweiz und in Österreich sind die Anforderungen an Rettungswege deutlich geringer. In der Schweiz genügt bei Bauten mit einer Geschossfläche bis 900 m² ein vertikaler Fluchtweg. In Österreich genügt bspw. ein Treppenhaus als Fluchtweg in Gebäuden der Gebäudeklasse 5, wenn eine mechanische Belüftung vorgeschriebener Dimension vorhanden ist.

In beiden Ländern ist die Definition von Sicherheitstreppenräumen an Hochhäuser gebunden. Vergleicht man die Brandtoten pro 1 Mio. Einwohner liegt die Schweiz mit 3,6 vor Österreich mit 4,5 und Deutschland mit 5,0 an erster Stelle. Auch eine umfangreiche, wissenschaftliche Analyse und Bewertung, unter Einbeziehung folgender Fragestellungen, hilft, die Fragen zu beantworten: Wo sind die meisten Brandtoten und Verletzten? Was waren die Brandursachen? Welche Personengruppen sind vorrangig beteiligt? Ist der Treppenraum daran maßgeblich beteiligt? Und wie war er baulich errichtet? Hätte ein Sicherheitstreppenraum zur Reduzierung der Opfer beigetragen? Welche „Erleichterungen“ für Sicherheitstreppenräume im Regelbau sind konkret denkbar? Beim außenliegenden Sicherheitstreppenraum steht der Abstand von 3 m zwischen der Tür zum Sicherheitstreppenraum und anderen Türen zur Disposition. Hintergrund ist in erster Linie, den Raumbedarf des Sicherheitstreppenraumes zu reduzieren. Vor allem geht es jedoch um den innenliegenden Sicherheitstreppenraum. Hier wird angestrebt, auf den Vorraum und die Druckbelüftungsanlage zu verzichten. Wird auf diese Elemente verzichtet, kann Rauch in den Treppenraum eindringen, somit wird die Definition des Sicherheitstreppenraumes nicht mehr erfüllt. Der erste Schritt in Richtung Sicherheitstreppenraum im Regelbau ist also die Änderung der Definition. Vorstellbar ist, in Anlehnung an die Formulierung der Anforderungen an notwendige Flure, folgender Wortlaut:

Ein zweiter Rettungsweg ist nicht erforderlich, wenn die Rettung über einen sicher erreichbaren Treppenraum erfolgen kann, dessen Nutzung im Brandfall ausreichend lange möglich ist (Sicherheitstreppenraum).

Das Land Berlin hat mit dem Dritten Gesetz zur Änderung der Bauordnung für Berlin vom 9. Juni 2016 folgende geänderte Formulierung aufgenommen:

Ein zweiter Rettungsweg ist nicht erforderlich, wenn die Rettung über einen Sicherheitstreppenraum möglich ist.

Dadurch wurde die Möglichkeit geschaffen, die Anforderungen an den Sicherheitstreppenraum in einer Ausführungsvorschrift festzulegen. Nach intensiver Diskussion zwischen den zuständigen Verwaltungen, der Feuerwehr, Fachplanern und Prüfingenieuren könnte die Ausführungsvorschrift über den Bau von Sicherheitstreppenräumen verabschiedet werden. Diese Vorschrift gilt für Wohngebäude, in denen im EG auch gewerbliche Nutzungseinheiten sein dürfen. Wesentlich neu ist, dass bei innenliegenden Sicherheitstreppenräumen auf eine technische Anlage zur Rauchfreihaltung verzichtet wird. Durch die nachfolgend aufgeführten Anforderungen soll das Sicherheitsniveau erfüllt werden:

➤ Rettungsweg aus Wohnungen immer über einen notwendigen Flur zum Sicherheitstreppenraum;

➤ maximale Länge des notwendigen Flures: 15 m;

➤ Wände des notwendigen Flures raumabschließend in der Feuerwiderstandsfähigkeit der tragenden Teile;

➤ notwendiger Flur mit maximal acht Öffnungen zu Wohnungen. Diese müssen feuerhemmende, rauchdichte und selbstschließende Türen haben, die mit einer Feststellanlage mit Freilauffunktion auszustatten sind.

➤ Innenliegende Sicherheitstreppenräume dürfen nur Türöffnungen haben zu

➤ einem notwendigen Flur pro Geschoss (feuerhemmend, rauchdicht und selbstschließend mit Feststellanlage);

➤ Vorräumen von gewerblichen Nutzungseinheiten und Abstellräumen im EG (feuerhemmend, rauchdicht und selbstschließend mit Feststellanlage und Freilauftürschließer);

➤ Vorräume von Kellergeschossen (feuerhemmend, rauchdicht und selbstschließend mit Feststellanlage und Freilauftürschließer);

➤ Aufzugsschächten.

➤ Automatischer Rauchabzug an oberster Stelle und manuelle Bedienungs- sowie Auslösestellen und

➤ alle Bestandteile des innenliegenden Sicherheitstreppenraumes aus nicht brennbaren Baustoffen.

Die Ausführungsvorschrift finden Sie auf hier.

Die Rettungswegebetrachtung darf nicht statisch sein. Neue Erkenntnisse über Ursachen und Auswirkungen von Bränden sowie das Verhalten von Personengruppen müssen bei der Beurteilung berücksichtigt werden. Neue Konzepte müssen belastbare und praxistaugliche Ergebnisse erzielen.

 


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