Patch 22, Amsterdam

Feuerwehraufzug ohne abgetrennten Vorbereich

In den Niederlanden müssen Gebäude ab einer Höhe von 20 m einen Aufzug aufweisen, der im Brandfall von der Feuerwehr benutzt werden kann! In Amsterdam ist nun ein sechsgeschossiges Apartmenthaus realisiert worden, dass den Aufzugbrandschutz ohne einen abgetrennten Vorbereich gewährleistet.

Eigentlich erscheinen alle Voraussetzungen brandgefährlich, denn beim Patch 22 handelt es sich um die derzeit höchste Holzkonstruktion der Niederlande. Das fast noch fußläufig vom Amsterdamer Hauptbahnhof gelegene sechsgeschossige Apartmenthaus liegt an einem Seitenarm des Johan van Hasseltkanaal und erinnert unwillkürlich an ein Arbeitsmodell aus Wellpappe: Die einzelnen Geschossebenen wirken wie leicht verschoben aufeinandergelegt und die im Modellbau eher unbeliebten gewellten Kartonstege scheinen hier eine artifizielle Entsprechung in den überdimensionalen Diagonalen der durchgehenden Balkonloggien gefunden zu haben.

Das unter der Maßgabe einer größtmöglichen Nachhaltigkeit von dem Architekten Tom Frantzen und dem Projektentwickler Claus Oussoren ausgearbeitete Projekt steht auf dem ehemaligen Werksgelände des Flugzeugbauers. Fokker ist CO2-neutral errichtet und besitzt auf der bei 10 endenden niederländischen GPR-Skala (einem Pendant zur LEED-Zertifzierung) einen hervorragenden Wert von 8,9. Der bauliche Brandschutz ist vergleichbar mit dem des Züricher Verlagshauses der Tamedia-Gruppe (BS 2/2013 S. 42). Es besitzt eine rein statisch betrachtet überdimensionierte, hölzerne Rohbaukonstruktion, die auf ihren kontrollierten Abbrand ausgelegt ist. Das heißt, alle tragenden Bauteile, wie Stützen und Träger besitzen so große Querschnitte, dass sie erst 120 Minuten lang abbrennen müssen bevor sie unter der gegebenen Traglast kollabieren. Die markanten Balkondiagonalen sind der sichtbare Hinweis auf dieses Konzept.

Holz-Beton-Hybrid

In den Obergeschossen weist die Pfosten/ Riegelkonstruktion einen Querschnitt von 50x50 cm auf, die für die Gewährleistung des Brandschutzes um 80 mm massiver ausgelegt wurden. Allerdings besteht das Erdgeschoss und der Gebäudekern mit den beiden Fluchttreppenhäusern, dem Aufzug und den beiden Versorgungsschächten aus Betonfertigteilen. Der Architekt begründet die Mischkonstruktion zum einen mit Brand- und Schallschutzerwägungen, die für eine kommerzielle Erdgeschossnutzung nicht unerheblich waren.

Zum anderen relevant waren auch die anfallenden Seitenwindkräfte des an der Nordsee vorherrschenden starken Westwindes: Ein reiner Holzbau wäre zu leicht gewesen und hätte gegen ein „Umwehen“ in seinen Fundamenten zusätzlich gegen Zug gesichert werden müssen: Zusätzliche Baukosten, die man so vermieden hat. Auf dem hölzernen Tragwerk ruht eine Deckenkonstruktion aus Betonfertigteilen und Stahlwabenträgern, die ebenfalls zur Erhöhung des Brandschutzes beiträgt.

Feuerwehraufzug

In den Niederlanden ist es vorgeschrieben, dass jedes Gebäude von mehr als 20 m über dem Straßenniveau mindestens einen Aufzug besitzen muss, der im Brandfall durch die Feuerwehr benutzt werden kann. Tatsächlich gibt es dazu sogar mit der EN 81-72 und der TRA 200 für Altanlagen eine grundlegende EU-Verordnung, die die Anforderungen an Feuerwehraufzüge regelt.

Entsprechend diesen Vorgaben ist die Stromversorgung der Aufzüge von der restlichen Haustechnik zu trennen und separat abzusichern. Auch sind die Aufzugstüren mit ihren elektrischen Außenschaltern vor einem möglichen Brandgeschehen abzuschirmen. Normalerweise geschieht dies – wie man es auch in Deutschland kennt – mit Hilfe eines Vorraums, der über meist gläserne Brandschutztüren gesichert wird. Doch Architekt Tom Frantzen wies nach, dass nirgendwo in den Verordnungen definiert ist, wie groß dieser Bereich sein muss: eine Quadratmetermindestanforderung gibt es nicht! Sinn und Zweck dieses Sicherheitsabschnittes ist ausschließlich der, die Aufzugsfunktion zu gewährleisten. Hingegen werden keine Vorgaben gemacht, wie das im Detail zu erfolgen hat.

Zudem schreibt eine Dienstanweisung den Löschkräften vor, im Brandfall nicht mit dem Aufzug bis zum Brandherd zu fahren (was sie dennoch meistens machen), sondern nur bis zum Geschoss darunter und die letzte Ebene über die Fluchttreppe zu begehen. Sind die Wehrleute einmal vor Ort, können sie freilich – sofern sich das Feuer nicht unmittelbar vor dem Aufzug befindet – Material über diesen nachführen. Mit dieser Spitzfindigkeit konnte der Architekt erreichen, dass im Patch 22 auf jeder Etage nur die Aufzugstüren selber mit einer doppelflügigen Brandschutztür gesichert werden mussten. Elektrische Magnete halten diese permanent offen und schalten sich im Alarmfall ab, Obentürschließer lassen die Flügel dann zufallen. Natürlich lassen sich auch im geschlossenen Zustand die Brandschutztüren, wie auch die Aufzugstüren sowohl von innen als auch von außen betätigen. In den Niederlanden stellt dieses Detail ein Novum dar. Die Lösung ist für die Innenarchitektur insofern bedeutsam, weil damit der offene, durchgehende Flur zu den Wohnungen erhalten blieb und der Architekt damit zwei „kommunikativ tote Sackgasen“ vermeiden konnte.

Fazit

Tom Frantzen und Tom Oussouren ging es bei dem Projekt nicht darum, möglichst gewinnbringend Wohnraum an den Markt zu bringen, sie wollten vor allem Lebensqualität schaffen. Mit den „toten“ Flurabschnitten – da sind sie sich sicher – hätten die Etagenbewohner ihre Nachbarn weniger wahrgenommen und das Zusammenleben wäre grundsätzlich anonymer gewesen. So aber bleiben die Flure eine durchgehende Einheit, die einen halböffentlichen Ort der Begegnung und der Kommunikation darstellt.

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